„Gebt doch endlich Ruhe“ - der Durchbruch des Schweigens um das ehemalige KZ

Veröffentlicht am 16.09.2023 in Aktuelles

Gedenktafel an der KZ Gedenkstätte Tailfingen (privat)

(bm) Am 04. September 2023 ist es genau 40 Jahre her gewesen, dass sich auf Einladung des DGB und der SPD, Bürgerinnen und Bürger aus der Region in Tailfingen vor einem alten, bereits etwas maroden Holzkreuz auf dem örtlichen Friedhof versammelten.
Das Holzkreuz hat die Inschrift: Hier ruhen 72 unbekannte KZ- Häftlinge.

Die Gedenkveranstaltungen am Beginn der 80er Jahre durchbrachen den Mantel des Schweigens, der zuvor über Jahrzehnte hinweg über das ehemalige KZ gespannt wurde.

Volker Mall gilt als einer der Gründungsväter der Gedenkstätte und der Erinnerungsarbeit vor unserer Haustüre.
Bereits 1983 begleitete er mit seiner Gitarre die zweite Gedenkveranstaltung, bei der er die Lieder „Mein Vater wird gesucht“ und „die Moorsoldaten“ gesungen hatte.
Am vergangenen Montag sang er diese zwei Lieder wieder.

Walter Kinkelin, der Vorsitzende des Gedenkstättenvereins, erinnerte an die hitzigen Diskussionen, die als Folge der damaligen Veranstaltung in Form von Leserbriefen öffentlich ausgetragen wurden.
Man solle endlich Ruhe geben hieß es in einem dieser Leserbriefe, „von manchen hört man das heute noch“, so Kinkelin.

Eindrücklich schilderte der heute 81-jährige Volker Mall, wie mit der Rückkehr des Überlebenden Mordechai Ciechanower ein großer Schritt gelungen ist, an dessen Ende die Einweihung der Gedenkstätte und des Mahnmals 2010 stand: 
„Unter den ersten Dokumenten, die wir in Yad Vashem fanden, war ein in Ivrit geschriebenes Zeugnis/ Testimony vom Mordechai Ciechanower. 
Wir fanden ihn in Israel, Harald Roth rief ihn an, er sagte sofort zu zu kommen und war Anfang November 2005 10 Tage zu Besuch. 
Er sprach am 9. November 2005 in der Tailfinger Bürgerhalle in einer Veranstaltung „Von Auschwitz nach Tailfingen“ vor über 500 Zuhörern, war Gast in Schulen in Herrenberg, Gärtringen und Rottenburg. 
Bei einem Mittagessen im Martinshof lernte OB Tappeser Mordechai Ciechanower kennen. 

Eine wichtige Begegnung. 

Tappeser machte die Gedenkstätte zur Chefsache, überzeugte den Rottenburger Gemeinderat, den Ortschaftsrat Hailfingen und schließlich auch den Bürgermeister und den Gemeinderat Tailfingen.
Trotzdem war es noch ein langer Weg voller Hindernissen und Anfeindungen bis zur Einweihung 2010“.

Walter Fischer, heute 96 Jahre alt, war 1943 als Mitglied der Hitlerjugend auf dem Flugplatz gewesen und initiierte die erste Gedenkveranstaltung 1982.

In seinen Ausführungen hob er die hartnäckige Arbeit von Volker Mall und Harald Roth hervor, die es geschafften haben, allen 601 jüdischen KZ- Häftlinge ihre Namen zurückzugeben.

In Anbetracht des 40. Jahrestages rief der betagte Senior zur Wachsamkeit auf, sich jenen Kräften in unserer Gesellschaft entgegenzustellen, die die Demokratie unterwandern und unseren Rechtsstaat aushebeln möchten.

Birgit Kipfer, die gemeinsam mit Volker Mall und Harald Roth von Mordechai Ciechanower liebevoll als „Troika“ bezeichnet wird, ist bis heute im Gedenkstättenverein aktiv: 

„Die Menschen wollten nicht erinnert werden, sie fühlten sich unwohl, denn die Häftlinge marschierten durch das Dorf, es waren jämmerliche Gestalten.“ Aber man sei es sich schuldig, zu erinnern. „Wir müssen lernen, dass es mitten in der Gesellschaft passierte, durch ganz normale Menschen, die denunzierten, sich zu Verbrechern erziehen ließen.“

In Anlehnung an einen Satz von AFD- Politiker Alexander Gauland hob die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete hervor, dass die ausgesonderten Menschen zu Nummern gemacht wurden: „Das war kein Vogelschiss der Geschichte“!

Die SPD- Bundestagsabgeordnete Jasmina Hostert, die am 04. September bereits wieder in Berlin zur ersten Sitzung des Bundestages nach der Sommerpause war, meldete sich durch eine verlesene Grußbotschaft aus der Ferne zu Wort:
„Durch meine eigene Geschichte weiß ich, wie viel Erinnerung bedeutet und wie viel Kraft es kostet, aber auch wie viel Kraft es geben kann, durch das eigene Engagement das Gedenken wachzuhalten und den kommenden Generationen zu ermöglichen, aus der Geschichte zu lernen. Die Überlebenden der Menschheitsverbrechen, die von deutschem Boden ausgingen, werden immer weniger. Umso mehr müssen wir jenen, die noch da sind, für ihr Engagement danken und ihre Lebensarbeit wertschätzen. Und wir müssen diejenigen
bestärken, die aus Interesse und Menschlichkeit ihre Zeit einsetzen, um den Opfern zu Gedenken und diesen Ort erst möglich machen“.

Abschließend traten die Ortsvorsteherin der Gemeinde Hailfingen Sabine Kircher und der Gäufeldener Bürgermeister Benjamin Schmid vor die Anwesenden und bedankten sich für das große Engagement, welches eine solche Veranstaltung sichtbar werde.

Wir leben jetzt wieder in gefährlichen Zeiten, und Sie haben unsere volle Rückendeckung", sagte Kircher.
Schmid fügte hinzu: „Was sich in 40 Jahren alles getan hat ist beachtlich und bewundernswert, das ist nicht selbstverständlich“.
 

 

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