"Nichts, was wir ehrend bewahren müssten"

Veröffentlicht am 30.01.2013 in Presseecho

Betr.: Umbenennung der Hindenburgstraße in Herrenberg, Leserbrief im Gäuboten vom 30.01.2013 Eines haben wir mit unserem Antrag schon heute erreicht: Über Hindenburg und seine Rolle in der Geschichte wird wieder gesprochen. Danke für die vielen Reaktionen. Dennoch einige Anmerkungen: Weder eine nennenswerte Summe Steuergelder wird bei der Umsetzung unseres Antrags erforderlich werden noch viel Geld "der kleinen Leute". Vielleicht ein wenig Mühe bei der Adressenänderung. Haben wir "Nichts Besseres als Politiker zu tun"? Keine Sorge: Weit über 300 Drucksachen beschäftigen uns Gemeinderäte mitunter zwei bis dreimal in der Woche, wohlgemerkt ehrenamtlich. Wir Sozialdemokraten haben allein im letzten Jahr knapp ein Dutzend Anträge gestellt: Zu Lärmschutz, Stadtentwicklung, Radab- stellanlagen, Haushalt, Schulen, Fruchtkasten, um nur einige zu nennen. Übrigens meistens erfolgreich.

Ja, ich habe in unserem Antrag keine umfassende wissenschaftliche Arbeit zu Hindenburg geschrieben, aber ich habe als studierter Historiker nichts formuliert, was nicht wissenschaftlich erwiesen ist. Der Historiker Professor Wolfram Pyta hat meine Auffassungen jetzt erst wieder bestätigt. Ich bin nicht auf die durchaus problematische Rolle der SPD am Ende der Weimarer Republik eingegangen, weil dies nicht das Thema ist. Allerdings zu behaupten, dass die SPD sich um die Verantwortung gedrückt habe, ist historischer Unfug. Als es um die Selbstentmachtung des Reichstags ging, haben Sozialdemokraten im Angesicht des nationalsozialistischen Terrors mutig Nein gesagt. Die erste Demokratie haben Sozialdemokraten mit ihrem Leben verteidigt, während Konservative und Liberale sie verraten haben und zum Steigbügelhalter Hitlers wurden. Besonders problematisch fand ich den Beitrag, der Hindenburg zum Vorbild für "Pflichterfüllung und Dienst an der Allgemeinheit" hochstilisiert. Nein, dass er sich für Tannenberg feiern ließ, obwohl Ludendorff die Schlacht gewonnen hat, dass er die Revolutionäre für die Niederlage im 1. Weltkrieg verantwortlich machte, obwohl er weit vor der Revolution bereits als General die Eingabe machte, endlich Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen, weil der Krieg nicht zu gewinnen sei, dass er seine Kaisertreue ganz schnell vergaß, als es 1918 opportun war, dass er trotz Alternativen Hitler zum Kanzler machte, seine Unterschrift unter die Reichstagsbrandverordnung setzte, die alle Grundrechte beseitigte, die Entmachtung des Reichstags unterstützte, genauso wie er die blutige Niederschlagung des Röhmputsches befürwortete und vor allem, dass er in Hitler die Hoffnung für Deutschland sah, wie er noch am Totenbett formulierte, das macht ihn wirklich nicht zum Vorbild für Ehre und Anstand. Und weil er viele dieser Haltungen mit großen Teilen der Eliten in Wirtschaft, Heer, Verwaltung und Justiz teilte, das machte der ersten deutschen Demokratie den Garaus. Und genau, weil es solche Haltungen noch heute gibt, müssen wir die Straße umbenennen. Es gibt an Hindenburg wirklich nichts, was wir ehrend in Erinnerung bewahren müssten. Ich habe mich dennoch über alle inhaltlich-sachlichen Beiträge sehr gefreut. Doch in so manchen Schreiben werden gehässige Töne angeschnitten, die an die Auseinandersetzungen mit der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik erinnern. "Wie können die "Vaterlandsverräter" so einen Antrag stellen und dann noch Willy Brandt als Alternative vorschlagen?" Klar könnte man die Straße auch nach Adenauer benennen. Aber es ist nun einmal Brandt, der dieses Jahr 100 geworden wäre. Es ist nun einmal Brandt, der als einziger deutscher Friedensnobelpreisträger nach 1945 das Gegenbild zum Militaristen Hindenburg darstellt, der gegenüber den Völkern der Erde Verantwortung für ein Verbrechen übernommen hat, dessen Opfer er selbst war, anstatt wie Hindenburg sich 1918 aus der Verantwortung zu stehlen, es war Brandt, der die Aussöhnung mit den osteuropäischen Ländern suchte, anstatt den deutschen Machtstaat zu propagieren. Beiträgen wie der aus den Reihen der CDU, der außer billiger Parteipolemik und persönlichen Beleidigungen keine Sachargumente bietet, leisten allen denen Vorschub, die "Parteien" und "Politiker" am liebsten in die Wüste schicken würden. Das war die Stimmung am Ende von Weimar, die es Hitler leicht machte, alle Parteien aufzulösen und seine Diktatur aufzubauen. Gerade weil dieses Thema viel mehr die Gemüter bewegt als viele unserer Anträge zur Stadtentwicklung, gerade deswegen ist dieser Antrag so wichtig. Heute jährt sich zum 80. Mal der Tag, an dem Hitler (er hatte "nur" 33% der Stimmen) die Macht übergeben wurde: von Hindenburg. Bodo Philipsen, Vorsitzender der SPD-Fraktion, Herrenberg

 

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